Forderungsprogramm 2014

Wien Der WEISSE RING fordert von der neuen Bundesregierung Verbesserungen im Opferschutz. Der Weisse Ring anerkennt die zahlreichen Verbesserungen im Opferschutz der letzten Jahre. Dennoch zeigt die tägliche Arbeit mit Verbrechensopfern, dass immer noch Lücken im gesetzlichen Schutzsystem bestehen. Der Weisse Ring beschloss in der Generalversammlung am Donnerstag, dem 28.11.2013 ein neues Forderungsprogramm mit insgesamt zwölf konkreten Forderungen an Bundesregierung und Gesetzgeber.

 

Ergänzung des Verbrechensopfergesetzes (VOG)

Die Leistungen aus dem Verbrechensopfergsetz sollen auf ALLE Personen, die durch eine Straftat schwer traumatisiert wurden, ausgedehnt werden. Insbesondere die Übernahme der Kosten für Psychotherapien sollten auf Personen ausgedehnt werden, die nicht unmittelbar Opfer einer Körperverletzung wurden, aber durch eine schwere Straftat traumatisiert wurden. Dies gilt insbesondere für traumatisierte Opfer von Einbruchsdiebstählen.

 

Schaffung eines Verbrechensopfervorschussgesetzes (VOVG)

Straftäter werden von Gerichten regelmäßig zu Ersatzleistungen an das Opfer verurteilt. Oft dauert es aber Jahre, bis das Opfer tatsächlich Geld vom Täter sieht. Da das Opfer im Regelfall dringend finanzielle Hilfe benötigt, sollte der Staat dem Opfer die Leistungen, zu denen der Täter verurteilt wurde, vorschießen. Der Staat kann sich dann beim Täter regressieren. Ein solches Vorschussgesetz könnte sich am jahrzehntelang bewährten Unterhaltsvorschussgesetz orientieren.

 

Prozessbegleitung für alle traumatisierten Opfer, sowohl im Straf- als auch im Zivilverfahren und im medienrechtlichen Verfahren

Derzeit ist die psychosoziale und juristische Prozessbegleitung im Strafverfahren (also psychologische und juristische Unterstützung rund um das Gerichtsverfahren) auf Opfer von Gewalt, von gefährlicher Drohung und Beeinträchtigung der sexuellen Integrität beschränkt. Allerdings sind auch Opfer von anderen Straftaten (z.B. Einbruchsopfer, jugendliche Opfer)oftmals psychisch so schwer belastet, dass sie dringend Unterstützung im Gerichtsverfahren benötigen. Es sollten daher alle Opfer von Straftaten, die traumatisiert wurden, psychosoziale und juristische Unterstützung erhalten.

Opfer benötigen aber nicht nur im Strafverfahren Unterstützung, sondern auch im Zivilverfahren und im medienrechtlichen Verfahren bei der Durchsetzung ihrer Schadenersatzansprüche und ihrer Ansprüche auf angemessene Behandlung in der Berichterstattung der Medien (etwa wenn gesetzwidrig Namen oder Fotos von Opfern veröffentlicht werden). Opfer sollten daher auch in diesen Zivilverfahren einen gesetzlichen Anspruch auf juristische Prozessbegleitung erhalten (ein Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung besteht bereits zum Teil, reicht aber nicht aus).

 

Anhebung der Entschädigung für Persönlichkeitsverletzungen von Verbrechensopfern durch Medien auf 100.000 Euro

Derzeit liegt bei unrechtmäßiger Bekanntgabe der Identität eines Verbrechensopfers durch ein Medium die Entschädigungsobergrenze bei EUR 20.000,-. Für wirtschaftlich potente Medien ist dieser Betrag nicht abschreckend. Der Weisse Ring fordert nach Durchführung einer Enquete zu diesem Thema im Mai 2013 in Übereinstimmung mit MedienexpertInnen eine Anhebung der Entschädigungsobergrenze im Mediengesetz auf EUR 100.000,-.

 

Recht auf schonende Vernehmung

Das Zusammentreffen mit dem Täter setzt das Opfer einer Straftat einer enormen Belastung aus. Derzeit haben vor allem Opfer von Sexualdelikten das Recht, schonend (also ohne Beisein des Verdächtigen) vernommen zu werden. Diese Möglichkeit einer schonenden Vernehmung sollte ausgedehnt werden: und zwar unabhängig vom Delikt auf alle Kinder und Jugendlichen. Diese Forderung entspricht auch der EU-Richtlinie zum Opferschutz. Darüber hinaus sollten alle Menschen, die durch eine Straftat traumatisiert wurden, über Antrag schonend vernommen werden. Es ist nicht einzusehen, dass weiterhin etwa eine Pensionistin, der die Handtasche geraubt wurde und die dadurch in große Angst versetzt wurde, oder ein traumatisiertes Opfer eines Einbruchsdiebstahls in unmittelbarer Gegenwart des Räubers aussagen muss. Die abgesonderte schonende Einvernahme der Opfer von Sexualdelikten nach §§ 165, 250 StPO hat sich in der Praxis bewährt, und es wäre im eminenten Interesse der betroffenen traumatisierten Opfer, auch ihnen diese abgesonderte Aussagemöglichkeit einzuräumen.

 

Bessere Schulung von Polizei und Justiz zu den Opferrechten

Der Weisse Ring fordert PolizeibeamtInnen, RichterInnen und StaatsanwältInnen/ BezirksanwältInnen besser im Opferschutz zu schulen. Wichtige Aspekte der Opferarbeit, wie das Wirken von Traumatisierungen, posttraumatischen Belastungsstörungen und sonstige Folgen einer erlittenen Straftat sollten verpflichtend in die Grundausbildung bei Polizei und Justiz aufgenommen werden, um Grundkenntnisse zu vermitteln und Sensibilisierung zu erwirken.

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Volltext:

Forderungsprogramm des Weissen Rings Österreich zur Verbesserung der Stellung des Verbrechensopfers im Gesetz

Beschluss der Generalversammlung vom 28.11.2013

Obwohl in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die Lobbyarbeit der Verbrechensopferhilfeorganisationen eine Menge von Verbesserungen für die Lage der Verbrechensopfer erreicht werden konnte, sind doch noch eine Reihe von Forderungen unerledigt. Diese betreffen ua: 

A. Erweiterung des Verbrechensopfergesetzes

Erfreulicherweise wurde durch die mit 01. April 2013 Inkraft tretende Novelle des VOG eine ganze Reihe offener Forderungen des Weissen Rings, wie die Kostenübernahme für Kriseninterventionen, die Verankerung der Schockschäden, substantielle Erhöhungen der Pauschalentschädigungssummen beim Schmerzensgeldvorschuss und beim Bestattungskostenersatz, Vereinheitlichung der Antragsfristen, u.a. übernommen. Trotzdem bleiben noch eine Reihe von Wünschen im Interesse der jeweils betroffenen Verbrechensopfer offen:

1. Ausdehnungen der Leistungen des VOG auf ALLE Personen, die durch eine Straftat schwer traumatisiert wurden.

Die Leistungen des Verbrechensopfergesetzes, insbesondere die Übernahme der Kosten für Psychotherapien sollten auf Personen ausgedehnt werden, die nicht unmittelbar Opfer einer Körperverletzung wurden, aber durch eine schwere Straftat traumatisiert wurden. Dies gilt insbesondere für traumatisierte Opfer von Einbruchsdiebstählen.

2. Erweiterung des Regressverzichtes

In einer ganzen Reihe von Fällen scheuen sich Verbrechensopfer, finanzielle Forderungen nach dem VOG zu erheben, weil sie den Regress bei ihren Ehegatten, Lebensgefährten oder anderen Bezugspersonen des Nahbereichs fürchten. Abgesehen davon, dass diese Opfer durch den Regress selbst in der Regel auch finanziell nochmals betroffen sein würden, weil ja das Familieneinkommen dadurch reduziert wird, besteht auch durch die mögliche Einbindung der Opfer in das Regressverfahren gegen den Täter die Gefahr einer sekundären Viktimisierung, da eine neuerliche Konfrontation mit dem Tatgeschehen und dessen Folgen erfolgen kann. Es wäre daher ein großes Anliegen, den derzeit nur sehr beschränkt möglichen Regressverzicht auf diese Fälle generell zu erweitern.

3. Schaffung eines Verbrechensopfervorschussgesetzes 

Grundsätzlich sollte (als Muster könnte das Unterhaltsvorschussgesetz dienen) immer dann, wenn einem Verbrechensopfer durch ein Gericht ein konkreter Schadenersatz zugesprochen worden ist, die Möglichkeit geschaffen werden, dass dieser Schadensersatzbetrag (zumindest bedürftigen Opfern) von Staatswegen vorgeschossen wird und der Staat sich am schuldig gesprochenen Täter regressiert. Durch das Budgetbegleitgesetz 2009 ist mit der Schaffung eines Schmerzensgeldvorschusses hier bereits ein erster Schritt unternommen worden, der durch die VOG-Novelle 2013 wesentlich ausgebaut wurde.

B. Opferbezogene Maßnahmen im materiellen Strafrecht und Strafprozessrecht

1. Prozessbegleitung für ALLE traumatisierten Opfer

Derzeit ist die psychosoziale und juristische Prozessbegleitung auf Opfer von Gewalt, gefährlicher Drohung und Beeinträchtigung der sexuellen Integrität beschränkt (§ 66 Abs 2 StPO). Allerdings sind auch Opfer von anderen Straftaten (z.B. Einbruchsopfer, jugendliche Opfer) oftmals psychisch so schwer belastet, so dass eine professionelle Begleitung durch das gerichtliche Verfahren zu gewährleisten ist. Diese lange Forderung der Verbrechensopferhilfeorganisationen war auch Thema der Vorarbeiten zum 2. Gewaltschutzgesetz und war letztlich im zwischen BMJ und BMI koordinierten Entwurf einer entsprechender Regierungsvorlage enthalten. In letzter Minute ist dieser dem Sparstift zum Opfer gefallen. Bei allem Verständnis für die aktuellen Sparmaßnahmen sollten diese jedoch nicht auf Kosten der schwächsten Glieder unserer Gesellschaft gehen, wozu unzweifelhaft schwer traumatisierte Opfer von Verbrechen gehören.

2. Sicherung eines Vorranges von Wiedergutmachungsansprüchen des Opfers gegenüber der Vollstreckung von Geldstrafen durch Erweiterung der Frist für den Zahlungsaufschub des § 409a Abs 3 StPO.

3. Erweiterung der §§ 43 und 43a StGB durch zwingende Weisung zur Schadensgutmachung bei Gewährung einer bedingten oder teilbedingten Strafnachsicht, wobei diese Weisung nur in bestimmten Ausnahmefällen entfallen kann. Eine solche Weisung ist etwa bereits in § 8 des österreichischen Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes vorgesehen.

4. Erweiterung der schonenden abgesonderten kontradiktorischen Einvernahme

Unabhängig vom Delikt soll eine kontradiktorische Vernehmung bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres zwingend durchgeführt werden, bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres jedenfalls auf Antrag. Gerade jugendliche Opfer, die sich noch in einem Reifungsprozess befinden, sollen auf Verlangen kontradiktorisch vernommen werden. Dies wird etwa dann der Fall sein, wenn sie sich durch die Opferwerdung stark belastet fühlen. Diese Forderung entspricht auch der EU-Richtlinie zum Opferschutz (Art 24).

Darüber hinaus sollte die über Antrag zwingend vorzunehmende schonenden abgesonderte kontradiktorische Einvernahme nach den §§ 165, 250 StPO auch auf alle Opfer ausgedehnt werden, die durch eine vorsätzlich begangene Straftat traumatisiert wurden. Es ist nicht einzusehen, dass weiterhin etwa eine Pensionistin, der die Handtasche geraubt wurde und die dadurch in große Angst versetzt wurde, oder ein traumatisiertes Opfer eines Einbruchsdiebstahls in unmittelbarer Gegenwart des Räubers aussagen muss. Die abgesonderte schonende Einvernahme der Opfer von Sexualdelikten nach §§ 165, 250 StPO hat sich in der Praxis bewährt, und es wäre im eminenten Interesse der betroffenen traumatisierten Opfer, auch ihnen diese abgesonderte Aussagemöglichkeit einzuräumen.

5. Stärkung der Opferrechte bei Diversion

In der Praxis werden häufig Opferrechte im Diversionsverfahren nicht beachtet, zB wird das Diversionsverfahren ohne Information oder Beiziehung des Opfers abgeschlossen. Hier sollte das Opfer die Möglichkeit haben, nichtsdestotrotz den Zuspruch von Schadenersatzbeträgen in einem selbstständigen Privatbeteiligtenverfahren zu erhalten.

C. Zivil- und Exekutionsverfahren

1. Ausweitung der juristischen Prozessbegleitung auf das zivilrechtliche, außerstreitrechtliche und medienrechtliche Verfahren

Neben der psychosozialen Prozessbegleitung ist für die Geltendmachung und Vollstreckung von zivilrechtlichen Ansprüchen die Gewährung von juristischer Prozessbegleitung für Verbrechensopfer dringend geboten. Auch im medienrechtlichen Verfahren wegen unrechtmäßiger Bekanntmachung der Identität von Verbrechensopfern durch ein Medium bedarf es einer juristischen Vertretung zur Durchsetzung von Opferrechten und Entschädigungsleistungen. Auch diese langjährige Forderung der Verbrechensopferhilfeorganisationen war im ursprünglich koordinierten Entwurf des 2. Gewaltschutzgesetzes und der entsprechenden Regierungsvorlage enthalten. Das endlich beschlossene 2. Gewaltschutzgesetz sieht nur mehr eine psychosoziale Prozessbegleitung vor. Da der Ausweg der Verfahrenshilfe für viele bedürftige Opfer kein vollwertiger Ersatz ist, wäre dringend die Ausdehnung der anwaltlichen Prozessbegleitung auch in den anschließenden Zivilprozess bzw. das anschließende außerstreitige Verfahren zu fordern.

2. Derzeit unterbricht eine Anschlusserklärung des Privatbeteiligten in einem Strafverfahren die zivilrechtliche Verjährung nur insoweit, als im Privatbeteiligtenanschluss ein ziffernmäßig bestimmter Betrag begehrt wurde, weil der Schuldner „nur in diesem Umfang gerichtlich belangt wurde“. Wenn der Privatbeteiligtenanschluss nicht ziffernmäßig angegeben wurde (z. B. weil im Zeitpunkt des Anschlusses die gesamte Höhe des Schadens noch nicht bekannt ist) oder der Titel unklar bleibt oder wenn zum Beispiel kein Feststellungsbegehren bezüglich Spätfolgen gestellt wurde, läuft die Verjährung weiter. Dadurch gehen immer wieder Schadenersatzansprüche von Verbrechensopfern durch Verjährung verloren, wenn der Strafprozess sehr lange gedauert hat. Es wäre daher gesetzlich festzulegen, dass bei Anschluss eines Verbrechensopfers als Privatbeteiligter im Strafprozess Verjährungshemmung betreffend aller deliktskausalen Umstände eintritt.

3. Anhebung der Obergrenze des Entschädigungsbetrages für Persönlichkeitsverletzungen von Verbrechensopfern durch Medien auf mindestens EUR 100.000,-

Derzeit darf bei unrechtmäßiger Bekanntgabe der Indentität eines Verbrechensopfers durch ein Medium iSd Mediengesetzes die Entschädigungsobergrenze EUR 20.000,- nicht übersteigen. Dieser Betrag ist in Hinblick auf die wirtschaftliche Existenz der MedieninhaberInnen unverhältnismäßig niedrig und daher ungeeignet die notwendige abschreckende Wirkung zu entfalten, um derartige Persönlichkeitsverletzungen in Zukunft vermeiden zu können.

D. Organisatorische Begleitmaßnahmen

Erarbeitung von Schulungsblöcken zu Opferrechten und Viktimologie vor allem für die Grundausbildung der Polizei, der BezirksanwältInnen und für RichteramtsanwärterInnen Opferrechte und wichtige Aspekte der Opferarbeit, wie das Wirken von Traumata, posttraumatischen Belastungsstörungen und sonstige Folgen einer erlittenen Straftat sollten verpflichtend in die Grundausbildung der RichterInnen, BezirksanwältInnen und StaatsanwältInnen aufgenommen werden.

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