Buch Wien: Literatur in der Gewaltprävention

Kann Literatur einen Beitrag zu Gewaltprävention leisten? Wenn ja, wie sieht dieser aus? Um diese Fragen ging es am Freitag, 8.11.2019, im Rahmen der Buch Wien in einer gut besuchten Podiumsdiskussion auf der Radio Wien Bühne.

Karin Pfolz, die sich selbst als „Überlebende häuslicher Gewalt“ bezeichnet, startete mit einem Ausschnitt ihres Buchs „Manchmal … erdrückt es mich, das Leben“. Und mit dieser kurzen Lesung waren alle – ob am Podium oder im Publikum – innerhalb weniger Minuten mitten im Thema. In einer klaren, einfachen und direkten Sprache schildert Karin Pfolz in ihrem Buch das Unglaubliche, das doch tagtäglich passiert: Einen Ehemann, der seine Frau regelmäßig verprügelt. Und das über Jahre.

Diese Lesung zeigte unmittelbar, fühlbar – und auch an den körperlichen Reaktionen der Zuhörer*innen sichtbar – wie rasch und in welchem Ausmaß Betroffenheit hergestellt werden kann.

Eine Tatsache, die Dina Nachbaur in ihrem Diskussionsbeitrag thematisierte. Denn das geschriebene Wort kann entweder zu Empathie und konstruktivem Umgang miteinander hinführen oder auch davon weg. Das ist ganz besonders im Zusammenhang mit der wachsenden Zahl an Hasspostings in den Sozialen Medien ein wichtiges Thema. Online ausgeübte Gewalt traumatisiert genauso wie körperliche Gewalt. Literatur kann einen empathischen, positiven Umgang mit dem Gegenüber lehren.

Die Ärztin und Psychotherapeutin Heidemaria Abrahamian ging der Frage nach, was Empfindungen wie Wut, Hilflosigkeit oder Angst im Körper langfristig anrichten. Denn dieser Stress macht körperlich krank. Was außerdem leicht übersehen wird, sind die unter Umständen langfristigen Auswirkungen auf mitbetroffene Kinder. Denn die Erstarrung, die aus der Hilflosigkeit entsteht, bleibt lange erhalten – und hat unter Umständen auch im Erwachsenenalter noch Folgen.

Jede fünfte Frau wird Opfer von Gewalt. Bis Frauen Anzeige erstatten, haben sie oft jahrelang in einer Gewaltbeziehung gelebt. Moderator Gustav Soucek (HBV) fasste seine Empfindungen so zusammen: „Ich schäme mich als Mann und bin zutiefst betroffen.“

Bundesministerin Ines Stilling verwies auf die gesellschaftspolitische Dimension des Themas: „Die beste Prävention gegen Gewalt ist eine tolerante Gesellschaft.“ Literatur könne dabei helfen, „ein Stück weit in den Schuhen anderer zu gehen“ und damit zum Nachdenken anregen. Stilling stellte außerdem die Frage in den Raum: „Wie würde ich reagieren, wenn das in der Wohnung neben mir passiert?“ Weghören? Den Fernseher lauter stellen? Oder doch Hinschauen, Nachfragen und Unterstützen?

Die Diskutantinnen waren sich einig: Das geschriebene, aber auch das gesprochene Wort kann dazu beitragen, das Bewusstsein für das Thema Gewalt zu heben. Das bestätigt sich auch in der Erfahrung, die Karin Pfolz in Workshops mit Schüler*innen macht. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass es nach diesen in den Klassen keine Mobbingfälle mehr gibt, weil die Aufmerksamkeit für das Verhalten und dessen Auswirkungen geschult wird.

Bildtext zum Titelfoto: Der WEISSE RING war nicht nur durch Dina Nachbaur auf dem Podium vertreten, sondern auch durch Präsident Udo Jesionek und zahlreiche Ehrenamtlich Tätige im Publikum.
Alle Fotos: Bundeskanzleramt

Erstellt am 11.11.2019

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