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Der Terroranschlag von Wien aus Perspektive der Opferrechte

Nach dem Terroranschlag vom 2.11.2020 zeigte sich vielfältiger Klärungsbedarf – unter anderem auch hinsichtlich der Opferrechte Betroffener. Die Opferunterstützungs-Einrichtung WEISSER RING konnte ihrer Sichtweise erfolgreich Gehör verschaffen.

Menschen, die Opfer von Gewalt werden, haben zahlreiche Rechte. Diese sind in Verbrechensopfergesetz (VOG) und Strafprozessordnung (StPO) festgehalten und decken eine Bandbreite an Themen ab. Das reicht von der Finanzierung von Leistungen wie Psychotherapie, Pauschalentschädigung für Schmerzengeld über Fragen des Verdienst- und Unterhaltsentgangs bis hin zur Prozessbegleitung. Wer Anspruch auf all das hat, wird im § 1 VOG unter dem Titel „Kreis der Anspruchsberechtigten“ festgelegt.

So weit, so gut. Unmittelbar nach dem 2. November entstand aber genau um diese Frage bzw. um die Anwendung dieses Paragraphen eine Diskussion. Der WEISSE RING stellte sich auf den Standpunkt, dass all jene, die sich im Nahebereich des Anschlags befunden hatten, auch als Opfer desselben zu behandeln seien. Es wurde verlangt, dass Menschen, die sich während eines Terroranschlags in unmittelbarer Nähe des Tatgeschehens aufgehalten haben, hinsichtlich ihrer Opferrechte mit direkten Opfern von Gewalt gleichgestellt werden sollten. Denn die unmittelbare Gefährdung und Bedrohung durch den Täter sei auch dann vorhanden gewesen, wenn Betroffene aufgrund der Geschehnisse flüchten und sich beispielsweise im Keller oder im ersten Stock eines Lokals verstecken mussten. Damit seien auch diese Personen als direkte Opfer der Tat zu betrachten.

Auslegung des Opferbegriffs

Die ersten Informationen aus der zuständigen Behörde, dem Sozialministeriumservice, ließen eine wesentlich engere Auslegung des Opferbegriffs erwarten. So wurde einer Frau, die zwar dem Täter gegenüber gestanden hatte, aber – zufällig – nicht von seinen Schüssen getroffen worden war, die Auskunft erteilt, sie habe keinen Anspruch auf Psychotherapie. Ihr Mann, der neben ihr gestanden hatte und durch Schüsse verletzt worden war, erhielt diese neben anderen Leistungen aus dem VOG selbstverständlich zugesprochen. Nun haben aber gerade terroristische Straftaten besonders gravierende Auswirkungen auf die Psyche derer, die sich aufgrund derselben in unmittelbarer Gefahr befunden haben. Das gilt nicht nur für Augenzeugen sondern für alle, die die Geschehnisse miterlebt haben.

In einem ersten Schritt entschieden deshalb die Verantwortlichen beim WEISSEN RING, dass alle Betroffenen, die sich im Nahebereich des Terroranschlags befunden hatten, auf jeden Fall hinsichtlich Therapiekosten aus Mitteln des Vereins unterstützt werden sollten. Diese Leistungen wurden aus Spendengeldern finanziert. „Der WEISSE RING erlebte unmittelbar nach dem Anschlag eine breite Welle der Hilfsbereitschaft und Unterstützung“, bestätigt Präsident Udo Jesionek, WEISSER RING. „Dafür sind wir sehr dankbar.“

Klarstellung durch Sozialministerium

Mittlerweile hat sich auch das Sozialministerium der Sichtweise des WEISSEN RINGS angeschlossen und Bundesminister Rudolf Anschober hat eine entsprechende Klarstellung veranlasst. Das bedeutet, dass alle, die der Bedrohung durch den Attentäter ausgesetzt waren, auch als Opfer von Gewalt nach § 1 VOG einzustufen sind – nicht nur jene, die körperlich verletzt oder getötet wurden.

Laut Medienberichten hat das Sozialministeriumservice bislang für 37 Menschen Psychotherapie bewilligt und rund EURO 68.000 an Betroffene ausgezahlt. Der WEISSE RING betreut aktuell 56 Menschen nach dem Terroranschlag.

Wie sinnvoll ist eine Amtshaftungsklage?

Seit 10.2.2021 liegt auch der Abschlussbericht der Untersuchungskommission zum Terroranschlag („Zerbes-Kommission“) vor. Sie kommt zusammenfassend zu folgendem Schluss: „Die Mängel … liegen im unzureichenden Informationsaustausch zwischen allen beteiligten Stellen und in Organisationsproblemen und der Behördenkultur des Sicherheitsapparats.“ Die Beseitigung dieser Schwachstellen bedürfe „eines nachhaltigen politischen Willens, einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen und eines langen Atems“.

Die Diskussion über eine Amtshaftungsklage läuft. Auch beim WEISSEN RING lässt man diese Option derzeit noch offen. Allerdings lautet hier die Empfehlung an Betroffene, unbedingt als ersten Schritt die Möglichkeiten des Verbrechensopfergesetzes zu nutzen.

Rolle des WEISSEN RINGS

Der WEISSE RING setzt sich seit über 40 Jahren für Opfer von Straftaten und deren Anliegen ein. Der Beratungsschwerpunkt liegt bei Gewalt im öffentlichen Raum. Damit ist der WEISSE RING auch logische erste Anlaufstelle für Opfer von Terror. Die Leistungen des WEISSEN RINGS sind kostenlos.

Persönliche Beratung erfolgt nach Terminvereinbarung. Die Kontaktaufnahme ist rund um die Uhr am Opfer-Notruf 0800 112 112 möglich und kann auch anonym erfolgen.

Ein paar Worte zu den Opferrechten

Das Verbrechensopfergesetz (VOG) sieht für Anspruchsberechtigte unterschiedliche Leistungen vor. Dazu gehören die Bezahlung von Krisenintervention oder Psychotherapie genauso wie der Ersatz beschädigter Brillen, Hörbehelfe oder Zahnersatz. Je nach Schwere der Verletzung gibt es auch noch das Thema Schmerzengeld. Es kann auch der Ersatz von Verdienstentgang eingefordert werden. Da kann es um relativ viel Geld gehen, wenn jemand beispielsweise aufgrund der erlittenen Verletzungen seinen Beruf nicht mehr ausüben kann.

Die Definition der Gruppe der Anspruchsberechtigten ist relativ komplex – siehe auch § 1 VOG. Grundsätzlich haben die unmittelbaren Opfer von Gewalt Ansprüche. Wird das Opfer getötet, dann haben die direkten Angehörigen Anspruch auf Unterstützung: Da geht es um Dinge wie Begräbniskosten, aber auch um Psychotherapie und um Verdienstentgang. Es gibt darüber hinaus auch Regelungen für Kinder, die Zeug*innen von Gewalt werden, die auch dann greifen, wenn das eigentliche Opfer überlebt.

Des weiteren haben Personen, die durch eine an einer anderen Person begangene Handlung nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder die als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im obigen Sinne eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen, Ansprüche nach dem Verbrechensopfergesetz.

Darüber hinaus sieht die Strafprozessordnung vor, dass Opfer von Gewalt, die ja auch Zeug*innen sind, Unterstützung in Form psychosozialer und juristischer Prozessbegleitung erhalten.

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