Durch die EU-Opferschutzrichtlinie wurde der Opferschutz auch in Österreich verbessert. Aber nur ein wenig.
Für die vor vier Jahren ausgearbeitete EU-weite Opferschutzrichtlinie, die in den einzelnen Mitgliedsländern bis zum 15. 11. 2015 umgesetzt werden hätte müssen, liegt nun endlich ein entsprechender Entwurf für das österreichische Strafprozessänderungsgesetz 2016 vor. Nach einer relativ kurzen Begutachtungsphase soll das Gesetz nun demnächst vom Parlament verabschiedet werden.
Aus der Sicht des WEISSEN RINGES und vieler anderer Opferschutzeinrichtungen weist der Entwurf jedoch noch erhebliche Mängel auf. Die besondere Schutzbedürftigkeit von Verbrechensopfern wird lückenhaft definiert, die Feststellung dieser Schutzbedürftigkeit lässt an Sensibilität und Praktikabilität zu wünschen übrig und die kostenlose juristische und psychosoziale Prozessbegleitung ist nicht für alle Opfergruppen gewährleistet.
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Der WEISSE RING fordert vor allem drei Punkte:
Punkt 1:
Die Feststellung der Schutzbedürftigkeit soll nicht der Polizei überlassen werden!
Artikel 22 der EU-Opferschutz-Richtlinie sieht vor, dass ALLE Opfer einer Straftat in Hinblick auf ihre Schutzbedürftigkeit begutachtet werden müssen. Die österreichische Umsetzung legt diese Begutachtung in die Hände der Polizei. Ungeachtet der Tatsache, dass derzeit kaum gewährleistet ist, dass der Polizei die Kompetenzen und personellen Ressourcen dafür zur Verfügung stehen, ist diese Entscheidung auch höchst fragwürdig. Schutzbedürftigkeit heißt in vielen Fällen eine Offenlegung von sehr persönlichen Lebensumständen, wie der sexuellen Orientierung, Behinderung, Zugehörigkeit einer ethnischen oder religiösen Minderheit oder eine Abhängigkeit des Opfers vom Täter. Es ist Menschen in der traumatischen Situation nach einem körperlichen Angriff, eines Überfalls oder Einbruchs nicht zumutbar das dafür nötige Vertrauen zu den Ordnungsorganen aufzubringen. Der WEISSE RING plädiert dafür die Feststellung der besonderen Schutzbedürftigkeit an unabhängige Opferschutzeinrichtungen auszulagern, um eine opfergerechte Expertise von ausgebildeten und erfahrenen Jurist/inn/en und Psycholog/inn/en durchführen zu lassen.
Punkt 2:
Die „Schutzbedürftigkeit“ muss auf wesentlich mehr Opfergruppen ausgeweitet werden!
Im Umsetzungsvorschlag der österreichischen Regierung ist nur ein Viertel derjenigen Opfergruppen übernommen worden, die in der EU-Richtlinie vorgeschlagen wurden. Nämlich Opfer, die in ihrer sexuellen Integrität verletzt worden sein könnten, Opfer, die Gewalt in Wohnungen ausgesetzt gewesen sein können (§ 38 SPG) und minderjährige Opfer. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum in Österreich zum Beispiel Opfer mit Behinderung, Opfer von Hasskriminalität, organisierter Kriminalität, Terrorismus, Menschenhandel oder Opfer, die bei Überfällen schwer verletzt worden sind, nicht besonders schutzbedürftig sein sollen. Der WEISSE RING schlägt vor, alle Opfer im Sinn des § 65 Z1 lit a StPO (das sind Opfer, die auch Anspruch auf psychosozialen und juristische Prozessbegleitung haben) als besonders schutzbedürftig einzustufen.
Punkt 3:
Alle Opfer müssen einen kostenlosen Zugang zu Opferhilfeeinrichtungen bekommen.
Die Anforderungen der EU-Opferschutzrichtlinie sind eindeutig: Alle Opfer von Straftaten müssen ihrem Bedarf entsprechend Zugang zu kostenloser und parteilicher Opferhilfe haben.
Soweit diese Dienste Kinder, Jugendliche oder Opfer von Gewalt im unmittelbaren Lebensumfeld betrifft oder weibliche Opfer von sexueller Gewalt, sind diese Einrichtungen in Österreich hervorragend ausgebaut. Alle anderen besonders schutzbedürftigen Opfergruppen und alle Opfer von situativer Gewalt im Allgemeinen (Opfer ohne Nahebeziehung zwischen Opfer und Täter) sind jedoch nahezu ausschließlich auf den WEISSEN RING angewiesen. Die Unterstützung dieser Opfer ist zu einem Großteil nicht finanziert und wird derzeit durch den WEISSEN RING mithilfe von freiwilliger Leistung und dem Engagement unbezahlter Arbeitskräfte sowie durch Spendengelder ermöglicht. Das ist nicht im Sinne der EU-Opferschutzrichtlinie. Die Opferhilfe muss auf wesentlich sicherere Beine gestellt werden! Im Sinne der allgemeinen Sicherheit und der Integrität von Verbrechensopfern.
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Factsheet Stellungnahme des WEISSEN RINGES zur Regierungsvorlage „Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2016“
Bei der Umsetzung der EU-Opferschutzrichtlinie durch das Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2016 sehen wir bei folgenden drei Punkten Verbesserungsbedarf:
Punkt 1:
Artikel 22 der EU-Opferschutz –RL:
sieht vor, dass ALLE Opfer einer Straftat individuell begutachtet werden, um besondere Schutzbedürfnisse feststellen und berücksichtigen zu können.
Österreichischer Umsetzungsentwurf:
Diese Feststellung soll von der Polizei durchgeführt werden.
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Vorschlag WEISSER RING:
§ 66a Abs 1a StPOneu:
Auf Verlangen des Opfers ist ein Opferunterstützungsdienst mit Erhebungen zur besonderen Schutzbedürftigkeit zu beauftragen
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Punkt 2:
Artikel 22 Absatz 3 der EU-Opferschutz –RL
sieht vor, dass bestimmte Opfergruppen besondere Aufmerksamkeit erhalten:
EU-Vorschlag
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Österreichischer Umsetzungsentwurf
· Opfer, die in ihrer sexuellen Integrität verletzt worden sein könnten
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Vorschlag WEISSER RING: § 66a Abs 1a StPOneu:
Als besonders schutzbedürftig gelten jedenfalls Opfer iSd § 65 Z1 lit a StPO. (Das sind jene Opfer, die auch Anspruch auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung haben.)
Punkt 3:
Artikel 8 EU-Opferschutz-Richtlinie
sieht vor, dass alle Opfer ihrem Bedarf entsprechend kostenlosen Zugang zu Opferunterstützungsdiensten erhalten.
Österreichischer Umsetzungsentwurf
Sieht keine Gleichstellung der Unterstützungsleistungen für Kinder, Jugendliche sowie Opfer von Gewalt im sozialen Nahraum und für weibliche Opfer mit Opfern situativer Gewalt – d.h.: Straftaten wie Körperverletzung, Raubüberfälle, Tötungsdelikte, gefährliche Drohung etc. ohne Naheverhältnis zwischen Opfer und Täter.
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Vorschlag WEISSER RING
§ 66 Abs 2 StPOneu:
Opfer im Sinne des § 65 Z 1 lit a oder b sowie Opfern, deren besondere Schutzbedürftigkeit iSd § 66a festgestellt worden ist, ist auf ihr Verlangen psychosoziale und juristische Prozessbegleitung zu gewähren, soweit dies zur Wahrung der prozessualen Rechte der Opfer unter größtmöglicher Bedachtnahme auf ihre persönliche Betroffenheit erforderlich ist.
Alle Opfer von Straftaten müssen ihrem Bedarf entsprechend unterstützt und die dazu erforderlichen Ressourcen müssen zur Verfügung gestellt werden. |