Hate Crime in Österreich

Im Rahmen des Projekts „Systematische Erfassung von Vorurteilsmotiven bei Straftaten“, das von November 2020 bis April 2021 stattfand, wurde die Umsetzung der polizeilichen Dokumentationspraxis von Hasskriminalität begleitet. Der WEISSE RING berichtete. Nun liegt der Jahresbericht 2021 „Hate Crime in Österreich“ des Bundesministeriums für Inneres vor. Dieser gibt ein deutliches Bild der Straftaten, der Straforte und der Tatverdächtigen.

Seit August 2020 wurde die Polizei im Erkennen und Erfassen von Vorurteilsmotiven flächendeckend geschult und das Erfassen von Vorurteilsmotiven wurde ein fixer Teil von deren Arbeitsroutine.

Hasskriminalität oder Hate-Crime wird in der neuen Terminologie als „vorurteilsmotivierte Straftat“ gegen „schutzwürdige Gruppen“ definiert. Diese schutzwürdigen Gruppen werden über Merkmale des Alters, der Religion, der sexuellen Orientierung, des sozialen Status oder der Weltanschauung definiert. Die Polizei hat sowohl vorurteilsmotivierte Straftaten als solche zu identifizieren und zu kennzeichnen, als auch die schutzwürdigen Gruppen, gegen die sich eine strafbare Handlung richtet.

Diese Daten wurden in der PKS (Polizeiliche Kriminalstatistik) erfasst. Sie ist als Anzeigenstatistik kein vollständiges und objektives „Barometer“ der öffentlichen Sicherheitslage. Ihr Inhalt hängt zum überwiegenden Teil vom Anzeigeverhalten der Bevölkerung ab, aber auch von der Ermittlungs- und Dokumentationspraxis der Polizei. Die eingetragenen Daten werden elektronisch an die Justiz übermittelt. Über den weiteren Ausgang der Strafverfahren können keine Aussagen getroffen werden.

Anzahl der vorurteilsmotivierten Straftaten 2021

Im Zeitraum von Jänner bis Dezember 2021 wurden in Österreich durch die Polizei 5.464 vorurteilsmotivierte Straftaten erfasst. Eine Straftat kann mehrere Vorurteilsmotive aufweisen, daher übersteigt deren Zahl die Gesamtsumme der vorurteilsmotivierten Straftaten. Insgesamt wurden in der Erfassungsperiode 6.619 Vorurteilsmotive dokumentiert. Einbezogen wurden nur Straftaten, deren polizeiliche Ermittlungen bereits abgeschlossen sind.

Im Jahr 2021 wurden österreichweit 74,2 Vorurteilsmotive bei 61,3 Straftaten pro 100.000 Einwohner dokumentiert. Dies bedeutet im Vergleich zu den Zahlen des oben zitierten Projekts im Zeitraum November 2020 bis April 2021 eine deutliche Steigerung der polizeilichen Erfassung (damals wurden 22 Straftaten pro 100.000 Einwohner in 6 Monaten erfasst).

Vorurteilsmotivierte Straftaten wurden in absoluten Zahlen am häufigsten in Wien (1.451 bei 1.709 Vorurteilsmotiven), in Oberösterreich (1.006 bei 1.268 Vorurteilsmotiven) und Niederösterreich (809 bei 939 Vorurteilsmotiven) verzeichnet.

In Relation zur Wohnbevölkerung wurden die Vorurteilsmotive jedoch am häufigsten in Salzburg, Wien und Oberösterreich erfasst. Positives Schlusslicht war hier das Burgenland.

In Salzburg, Oberösterreich und Tirol fällt eine relativ hohe Zahl an Vorurteilsmotiven bei Straftaten gegen das Verbotsgesetz auf. Oberösterreich verzeichnet zudem klar die höchste Rate an Vorurteilsmotiven bei Verhetzungen – weit über dem österreichischen Durchschnitt.

Hingegen lassen sich in Wien und Salzburg die höchsten Raten an registrierten Straftaten gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit sowie das Vermögen (größtenteils Graffitis) nachweisen.

Die relative Verteilung von „Hate Crimes“ nach Bezirken brachte städtische Konzentrationen in Salzburg, Innsbruck, St. Polten, aber auch in ländlichen Bezirken wie Feldkirchen, Freistadt und Leoben zutage.

Die Aufklärungsquote bei „Hate Crimes“ von insgesamt 68,8 % innerhalb des Erfassungszeitraums lag über dem Durchschnitt der in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2021 erfassten Straftaten.

Straftaten nach neun Vorurteilsmotiven

Im Jahre 2021 wurden neun Vorurteilsmotive in folgender Reihung absteigend erfasst:

  • Weltanschauung: 2.052
    Diese umfasst „Parteien,“ „westliche Demokratie“ (und „andere“ Motive)“
  • nationale/ethnische Herkunft: 1.874
  • Religion: 750
    Diese umfasst Christen, Juden, Muslime (und „Andere“)
  • Hautfarbe: 408
  • sexuelle Orientierung: 376
    Diese umfasst „bisexuell, heterosexuell, homosexuell“.
  • Geschlecht: 354
    Diese umfasst „Divers/Inter, Frau, Mann, (und „Andere“)“
  • sozialer Status: 287
    Dieser betrifft „Wohnungslosigkeit (und „Andere“)“
  • Alter: 266
  • Behinderung: 252
    Diese umfasste „körperliche /Sinnesbeeinträchtigung sowie „psychisch/kognitive Beeinträchtigung“

Die Kategorie „Andere“ muss von der Polizei jeweils konkretisiert werden.

Straftaten nach Deliktsarten

Hassdelikte gegen Leib und Leben waren zu 81,7% Körperverletzungen, gegen die Freiheit zu 66,5% gefährliche Drohungen, gegen die Ehre zu 83,3% Beleidigungen.

Bei Delikten gegen fremdes Vermögen waren es zu 69,9% Sachbeschädigungen und bei Straftaten gegen den religiösen Frieden handelte es sich zu 77,7% um Herabwürdigung religiöser Lehren.

Straftaten gegen den öffentlichen Frieden waren zumeist Verhetzungen (88,2%).

Bei Verstößen gegen strafrechtliche Nebengesetze war zumeist der Auffangtatbestand der nationalsozialistischen Wiederbetätigung erfüllt (85,8% nach § 3g Verbotsgesetz).

Beim am häufigsten dokumentierten Vorurteilsmotiv „Weltanschauung“ überwogen Sachbeschädigungen und Verstöße gegen das Verbotsgesetz.

Das Motiv „Nationale/Ethnische Herkunft“ dominierte bei Straftaten gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit, gegen die Ehre und gegen den öffentlichen Frieden.

Gemessen an der Wohnbevölkerung fiel in Salzburg, Oberösterreich und Tirol die hohe Anzahl an Vorurteilsmotiven bei Straftaten gegen das Verbotsgesetz auf. Oberösterreich verzeichnete die höchste Rate an „Verhetzungen“.

Straftaten nach Tatverdächtigen

„Hate Crime“ wurde sehr häufig von strafunmündigen Personen und mündigen Minderjährigen zwischen 14 und 18 Jahren begangen, sodass alle Tatverdächtigen unter 25 Jahren mehr als 40 % ausmachten, gegenüber knapp 35 % beim Durchschnitt aller Straftaten. Ein gutes Viertel der Vorurteilskriminalität scheint somit Jugendkriminalität zu sein.

Die erfassten Tatverdächtigen waren häufiger jugendlich und männlich und hatten österreichische Staatsbürgerschaft. Dieser Umstand fiel besonders bei antisemitischen Straftaten auf.

Hingegen war der Anteil fremder Tatverdächtiger bei christen- und muslimfeindlichen Straftaten und bei „Hate Crimes“ gegen das „Geschlecht“ erhöht. Hier ist aber anzumerken, dass der Anteil fremder gegenüber österreichischen Tatverdächtigen bei „Hate Crimes“ (26 %) geringer ausfiel als deren Anteil bei der Gesamtkriminalität (39 %). Noch geringer war dieser Anteil beim Vorurteilsmotiv „Weltanschauung“ (20 %).

Der Anteil männlicher Tatverdächtiger – unabhängig von deren Staatsbürgerschaft – war etwas höher als bei der Gesamtkriminalität (86% gegenüber 79%).

Insbesondere ließ sich bei antijüdischen „Hate Crimes“ beobachten, dass der Anteil an Tatverdächtigen vorrangig männlich war (92 %). Zudem fiel hierbei der hohe Anteil an inländischen Tatverdächtigen auf (85 %).

Beim Vorurteil „Muslimfeindlichkeit“ war der Anteil fremder Tatverdächtiger erhöht (49 %), ähnlich beim Vorurteilsmotiv „Geschlecht“ (48 %), am häufigsten bei „Christenfeindlichkeit“ (59 %), jedoch kaum beim Vorurteilsmotiv „Sexuelle Orientierung“ (31 %).

Zahlreiche Tatorte

Folgende Tatorte wurden erfasst: Öffentlicher Raum, halb-öffentlicher Raum, privater Raum, Sakralstätte, Anstalt, Internet und sonstige Örtlichkeit. Mehr als die Hälfte aller muslimfeindlichen Vorurteilsmotive wurden im (halb-) öffentlichen und privaten Raum registriert. Christenfeindlichkeit äußerte sich häufiger in Angriffen (Sachbeschädigungen) auf sakrale Stätten.

Am häufigsten wurden Straftaten mit dem Vorurteilsmotiv „nationale/ ethnische Herkunft“ im öffentlichen Raum begangen. Auch „Hate Crimes“ wegen des „Sozialen Status“ und der „Sexuellen Orientierung“ wurden vorwiegend in der Öffentlichkeit begangen. Bei vorurteilsmotivierten Straftaten gegen Leib und Leben, sowie bei Vermögensdelikten dominierten 2021 die öffentlichen Tatorte.

Der Tatort „privater Raum“ kam bei den Vorurteilsmotiven „Behinderung“ (23,5%) und „Geschlecht“ (23,7%) am häufigsten vor.

Der Tatort „Internet“ traf am meisten auf Straftaten gegen den öffentlichen Frieden zu, vor allem bei Verhetzungen (66,7% – 380 Vorurteilsmotive) sowie Verstößen gegen das Verbotsgesetz (43,8% – 812 Vorurteilsmotive).

Antisemitisch motivierte „Hate Crimes“ wurden zu mehr als einem Drittel online begangen, vor allem die Verhetzungen.

Als Online-Delikte wurden „Hate Crimes“ wegen „Hautfarbe“ zu einem Drittel sowie wegen „Weltanschauung“ und „Behinderung“ zu jeweils einem Viertel dokumentiert, was für weniger direkte Kontakte der Tatverdächtigen mit diesen Opfergruppen spricht.

Bei vorurteilsbedingten Straftaten mit den Motiven „Weltanschauung“, „Hautfarbe“, „Behinderung“ und „Religion“ hatten die Tatverdächtigen vor allem indirekten Kontakt zu den betroffenen Opfergruppen, wie überwiegende Anteile von Verstößen gegen das Verbotsgesetz und Verhetzungen belegen.

Hingegen wurden Straftaten mit den Vorurteilsmotiven „Nationale/Ethnische Herkunft“, „Sexueller Orientierung“, „Geschlecht“, „Sozialer Status“ und „Alter“ tendenziell unmittelbar konfrontativ begangen, wie sich durch erhöhte Anteile an Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, gefährlichen Drohungen und sexuellen Übergriffen nachweisen ließ.

Anmerkungen zur “Hass-Kriminalität”

„Vorurteilsmotivierte Straftaten haben stärkere Auswirkungen als andere Straftaten (Wellen der Verletzungen), die ohne Vorurteilsmotiv begangen wurden. Denn diese Straftaten treffen neben dem Opfer alle Träger:innen desselben Identitätsmerkmals und möglicherweise die gesamte Gesellschaft“, stellt im Bericht „Hate Crime in Österreich“ der Bundesminister für Inneres Gerhard Karner fest. Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit macht die Angehörigen der Gruppen verletzlich. Menschen verlieren das Gefühl der Sicherheit, sie entwickeln Misstrauen gegenüber den staatlichen Behörden, die scheinbar nicht in der Lage sind, diese Delikte abzuwehren. Sie ziehen sich zurück, nehmen nicht mehr Teil am öffentlichen Geschehen. Hasspostings in sozialen Medien können als Brandbeschleuniger wirken und weitere Übergriffe auslösen. Individuell lösen solche Angriffe bei den unmittelbaren Opfern erhebliche Beeinträchtigungen aus, Probleme bei der Arbeit, in der Schule, im Bekanntenkreis, Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen sind die Folge.

Ganz zu schweigen von den physischen und psychischen Auswirkungen der vorurteilsmotivierten Gewaltkriminalität, die im letzten Jahr 2091 Opfer forderte. Das sind 2091 Opfer zu viel.

Der Polizeibericht über Hate Crime 2021 liefert genug Anhaltspunkte für eine präventive Politik, sowohl auf der Täterseite (insbesondere die Kriminalität der jugendlichen Männer betreffend) als auch reaktive Maßnahmen für die Sicherheit im öffentlichen Raum, oder auch Schutzmaßnahmen für den privaten Raum. Auch das Anzeigeverhalten von Zeugen oder Opfern, die solche Taten beobachten oder selbst erfahren, wird durch die begleitenden gesetzlichen Maßnahmen wie Prozessbegleitung, psycho-soziale Betreuung – wie sie der WEISSE RING und andere Hilfsorganisationen bieten – verbessert. Selbstverständlich ist die Polizei nicht der einzige Ansprechpartner. Die Verbesserung der Einkommen von Personen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis leben, die Angebote von Schutzzonen, Kontrollmechanismen, wirksame gesetzliche Maßnahmen gegen die Internet-Kriminalität, Bildungs- und Schulungsschwerpunkte, transparente Gesetze, aber auch regionale Schwerpunkte von geeigneter Öffentlichkeitsarbeit – dies alles kann im Jahr 2021 die Rechtssicherheit der Menschen und den Schutz vor Hass-Delikten gewährleisten.

Erstellt von: Inge Rowhani

2022/09

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