Stand Up for Victims´Rights

FRA (European Union Agency for Fundamental Rights) veröffentlichte im Februar 2021 eine Presse-Aussendung über eine groß angelegte Studie1, in der 35.000 Personen innerhalb der EU (sowie Nordmazedoniens und UK) über ihre Erfahrungen mit Gewalt, Belästigung, Raub, Konsumentenbetrug befragt worden waren.

FRA stellte fest, dass die erhobenen Daten weitaus höhere Zahlen ergaben als die offiziellen Länderberichte. Der erste Survey (on the general population experiences of crime) berichtet, dass mehr als eine(r) von vier Europäer:innen Opfer von Belästigungen geworden sind, 22 Millionen (!) waren in einem Jahre körperlich attackiert worden. Ein Viertel aller jungen Menschen waren von Attacken betroffen, wie auch ein Fünftel der sich als LGBTI bezeichnenden Menschen, Personen mit Behinderung zu 17%, ethnische Minoritäten zu 22%. Allerdings meldeten nur ein Drittel der Opfer die körperlichen Angriffe und nur ein Zehntel der Opfer von Belästigungen zeigten diese bei der Polizei an.

Aus diesen Daten ist unschwer zu schließen, dass Europa ein großes Problem mit Hasskriminalität hat, vor allem auch mit deren Wahrnehmung.

Für Hassverbrechen werden auch die Begriffe Hate Crime oder vorurteilsmotivierte Straftat verwendet. Ein Hassverbrechen richtet sich gegen Gruppen von Personen oder gegen Mitglieder einer Gruppe ausdrücklich wegen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, basierend auf – zugeschriebenen oder tatsächlichen – Merkmalen wie Alter, Behinderung, Hautfarbe, Nationalität, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, Sprache, sexueller Orientierung, Geschlecht, Geschlechtsidentität und -ausdruck, oder anderen Identitätsmerkmalen.

Neben dem direkten Einfluss auf Betroffene haben Hassverbrechen eine Signalwirkung. Vorurteilsmotivierte Straftaten zielen auf die persönliche Identität der Betroffenen, erreichen jedoch auch Menschen die gleiche Gruppen- und Identitätsmerkmale haben oder sich der Gruppe zugehörig fühlen und spalten in Folge die Gesellschaft in Österreich und ganz Europa.

Die Regelungen bezüglich vorurteilsmotivierter Straftaten auf europäischer Ebene

Innerhalb der EU ist die Charta der Grundrechte der Europäischen Union seit 2009 rechtsverbindlich. Mit Rahmenbeschluss Nr.2008/913/JI (zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit) vom 28. November 2008 wurde ein gemeinsamer strafrechtlicher Ansatz zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit festgelegt. Dieser enthielt noch nicht den Begriff des Hate Crime.

In der Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten – der Opferschutz-Richtlinie – wird ein Mindestmaß an Rechten für alle Opfer von Straftaten festgeschrieben. Hauptziel dieser Richtlinie ist, dass Opfer von Straftaten angemessene Informationen, angemessene Unterstützung und angemessenen Schutz erhalten und sich am Strafverfahren beteiligen können, wo auch immer in der EU die Tat passiert ist.

Jeder EU-Mitgliedstaat muss sicherstellen, dass Opfer von Straftaten anerkannt werden und eine respektvolle, einfühlsame und professionelle Behandlung entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen und ohne jegliche Diskriminierung (beispielsweise nach Nationalität, Aufenthaltsstatus, Rasse, Religion, Alter, Geschlecht usw.) erfahren. In der Richtlinie werden Mindeststandards für Opfer von Straftaten unabhängig von Nationalität und Aufenthaltsstatus des Opfers festgelegt. Dies gilt auch für Familienangehörige verstorbener Opfer.

Die Richtlinie hält in Artikel 22 Abs. 3 fest, dass Opfern von Hassverbrechen besonderer Schutz zu gewähren ist, da sie ein höheres Risiko für sekundäre und wiederholte Viktimisierung, Einschüchterung und Vergeltung haben und besondere Schutzmaßnahmen notwendig sind.

Die Situation in Österreich

In Österreich gibt es noch viel zu tun, um die Unterstützungsstrukturen für von Hate Crime Betroffene zu verbessern. Auch die rechtlichen Folgen von Hate Crime sind nach wie vor begrenzt, da die „besonderen Erschwernisgründe“ des § 33 Abs.1/5 StGB erst beim gerichtlichen Urteil berücksichtigt werden.

Seit der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse des EU Vorgängerprojekts V-Start (Victim Support through awareness raising) im November 2018 hat das Innenministerium wesentliche Verbesserungen durchgeführt und bewirkt: Daten zu Hate Crime werden seit November 2021 verpflichtend systematisch durch die Polizei erfasst. Die Strafverfolgungsbehörden wurden in einem obligatorischen E-Learning-Seminar über vorurteilsmotivierte Straftaten informiert. Bis Mai 2022 wurden fast 90% der Polizist:innen und etwa 300 Multiplikator:innen geschult.

Insgesamt sind jedoch Hate Crimes und ihre gesellschaftlichen und rechtlichen Auswirkungen in der österreichischen Bevölkerung noch weitgehend unbekannt. Allgemeine und spezielle Unterstützungs-Organisationen kümmern sich weiter um eine Sensibilisierung, aber das Dunkelfeld der verübten Straftaten ist groß.

Ziele des Projekts Stand up for victims’ rights

Das Projekt sollte zur Umsetzung der Richtlinie 2012/29/EU beitragen, um das Unterstützungssystem und die Rechte von Betroffenen von Hasskriminalität zu stärken sowie das Melden dieser Verbrechen zu fördern und somit „underreporting“ zu bekämpfen.

Ziel war es, in den EU Ländern Italien, Kroatien und Österreich mit zivilgesellschaftliche Organisationen und Opferschutz-Einrichtungen gemeinsam ein Verweissystem zu entwickeln, das den Zugang zu Unterstützungsleistungen erleichtern soll. Polizeibeamt:innen, juristisches Personal und weitere Berufsgruppen, die mit von Hate Crime Betroffenen in Kontakt kommen, wurden geschult, um die Bedürfnisse von Betroffenen besser zu verstehen und auf diese eingehen zu können.

Ziel war das Schaffen eines Bewusstseins wie wir alle gegen Hate Crime aufstehen können, um Zivilcourage zu zeigen.

Arbeitsweise und Aktivitäten von Stand Up

Die Arbeit begann im September 2020 und wurde Ende 2022 abgeschlossen. In einer transnationalen Partnerschaft arbeiteten drei Länder (Österreich, Kroatien und Italien), zivilrechtliche Opferunterstützungs-Organisationen und Amnesty International zusammen.

Finanziert wurde das Projekt durch das Justice Programm der Europäischen Union. Die Koordi-

nation lag bei der italienischen Menschenrechts-Organisation COSPE. Die Partner:innen des Projekts waren: die Opferhilfe-Organisation Aleteia (Italien), die Menschenrechts-Organisation HRH Zagreb, Victim and Witness Support Centre (Kroatien), Amnesty International, in Österreich der Verein ZARA Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit und der WEISSE RING.

Das Projekt arbeitete auf drei Ebenen

1. Kooperation und Vernetzung

hier ging es darum, die Zusammenarbeit unter den zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie zwischen letzteren und Strafverfolgungsbehörden und anderen öffentlichen Behörden zu verbessern. Hauptziel war an einem effektiven Verweissystem für Betroffene von Hate Crime zu arbeiten und eine adäquate Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse sicherzustellen.

ZARA koordinierte im gegenständlichen Projekt den regelmäßigen Austausch zwischen allgemeinen und speziellen Unterstützungs-Organisationen und den Behörden innerhalb des „Hate-Crime-Kontern-Netzwerks“2. Ziel dieses Austauschs war die Verbesserung der Unterstützungsstruktur für Betroffene unter Verwendung eines betroffenen-zentrierten Ansatzes, sowie eine effizientere Gestaltung des Verweissystems für Betroffene.

2. Capacity building

hier wurden Fachkräfte, die mit Betroffenen von Hate Crime in Kontakt kommen, zur Teilnahme an Schulungen eingeladen. Sie haben ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse der Betroffenen sowohl ihrer persönlichen organisatorischen Rolle im Unterstützungssystem und einen besseren Überblick über vorhandene Angebote bekommen. Die Möglichkeit eines kontinuierlichen Austausches zwischen zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Organisationen wurde intensiviert.

ZARA und der WEISSE RING schulten in insgesamt vier je eintägigen Workshops Sozialarbeiter:innen und Polizist:innen als Berufsgruppen, die unmittelbar mit Betroffenen von Hasskriminalität Kontakt haben.

Der Titel des Workshops für Sozialarbeiter:innen lautet: Be an Ally against Hate Crime! -Verbündete sein ist ein Tun-Wort. Es war ein Anliegen einen Reflexionsraum zu Vorurteilen, Identitäten, Normen, Privilegien und Diskriminierung zu bieten, Wissen zu vorurteilsmotivierter Hass(-Kriminalität) und dazu wer, wie Unterstützung bietet zu vermitteln, Austausch zu fördern und Kompetenzen zu stärken zur Rolle als Ally unter der Prämisse, die Bedürfnisse von Betroffenen in der Begleitung und Beratung zu wahren.

Der Titel des Workshop für die Polizei, wobei insbesondere Multiplikator:innen der Polizei an den Workshops teilnahmen, war „Hate Crime online und offline“ – Follow-up Training zu Vorurteilskriminalität“.

Es war ein Anliegen, Erfahrungen aus der Exekutive mit Expertise aus dem NGO-Bereich zu verbinden und so rechtliches Wissen aber auch die opferzentrierte Sensibilisierung für Hate Crimes zu vertiefen.

Spezielles Augenmerk richtet sich dabei auf den Umgang mit Delikten im Netz. Ziele waren einen Reflexionsraum zum Umgang mit Betroffenen zu bieten, rechtichen Wissensaustausch zu vorurteilsmotivierter Kriminalität im Netz (hate postings, Neuerungen in der Praxis durch das Hass-im-Netz-Bekämpfungsgesetz 2021) zu fördern und durch Disskussion von Fallbeispielen das Wissen zu vertiefen.

3. Sensibilisierung

zielte darauf ab, den Problemkreis Hate Crime zu beleuchten, sowie Informationen über die Rechte und Bedürfnisse von Opfern bereitzustellen. Es wurde eine Kampagne in sozialen und traditionellen Medien und Initiativen gestartet, um zu Meldungen von Hate Crimes zu ermutigen und die Zivilcourage zu stärken.

Als Teil der Kampagne wurden in jedem Land fünf „Know your rights“- Broschüren herausgegeben, weiters wurden fünf kurze Videoclips produziert, die Betroffene und Öffentlichkeit über Hate Crimes und die vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten informieren3.

In Österreich wurden „Know your rights“- Broschüren für

  • Betroffene von antimuslimisch-rassistischen Hassverbrechen
  • Betroffene von rassistisch motivierten Hassverbrechen
  • Betroffene von anti-Schwarzen rassistischen Hassverbrechen
  • Betroffene von antisemitischen Hassverbrechen und
  • Betroffene von rom:nja und sinti:zzefeindlichen Hassverbrechen

erstellt. Diese Broschüren stellen Handlungsoptionen bereit. Sie beinhalten rechtliche Informationen und bieten eine Liste an Organisationen, an die sich Betroffene wenden können. Alle Broschüren stehen auch auf Englisch zur Verfügung. Die Broschüren für Betroffene von antimuslimisch-rassistischen Hassverbrechen und von rassistisch motivierten Hassverbrechen wurden auch auf Arabisch und Farsi übersetzt. Alle Broschüren sind ausschließlich online verfügbar und können unter https:standup-projext.eu und auf der Instagram Seite standup/eu abgerufen werden.

Die im Rahmen des Projekts produzierten Videos stehen auf YouTube zur Verfügung und geben Information zu folgenden fünf Themen:

In den Videos sprechen Berater:innen verschiedener Opferhilfe-Einrichtungen sowie Polizist:innen zu den jeweiligen Fragestellungen.

Empfehlungen für Österreich

  • Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden, Gemeinden, Interessenvertretungen und Unterstützungs-Einrichtungen verbessern

Es genügt nicht, Strafverfolgungsbehörden (als erste Anlaufstelle) in das informelle Verweissystem einzubeziehen. Es braucht ein automatisiertes Verweissystem auf rechtlicher Grundlage, das sich an europäischen Bestpraxis-Beispielen und Forschungsarbeiten orientiert. Dieses automatisierte Verweissystem muss sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren.

Festlegung von Standards für sichere Datenübermittlung (die Betroffenen von Hate Crimes sollten nicht immer wieder neuerlich die Geschehnisse darlegen müssen); diese Standards müssen erst erarbeitet werden.

Es soll ein nationaler Aktionsplan gegen Hate Crime zwischen allen Akteur:innen und Betroffenen entwickelt (und finanziert) werden.

  • Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Opferhilfe-Einrichtungen

muss standardisiert und finanziert werden. Nur so kann psychosoziale und rechtliche Unterstützung der Betroffenen durch gut ausgebildete Fachkräfte gewährleistet werden.

Eine „Systemlandkarte“ für alle Akteur:innen österreichweit sollte erstellt werden, um auch ein effektives Selbst-Verweissystem zu entwickeln. Mehrsprachigen Websites oder Apps für alle Unterstützungs-Einrichtungen sind gefordert, die Informationen sollten in einfacher Sprache und in vielen relevanten Sprachen verfasst sein.

  • Den Wissensstand von Personen, die mit Betroffenen in Kontakt kommen könnten, verbessern

In der Strafverfolgung / für Polizist:innen: verpflichtende ergänzende Online-Schulungen, mit betroffenen-zentriertem Ansatz um sekundäre Viktimisierung zu vermeiden. Für das Training auch Polizei-Erfahrungen aus anderen Ländern nützen. Chancengleichheit bei der Rekrutierung von Polizist:innen sicherstellen, um Vielfalt innerhalb der Polizei zu gewährleisten und die Vertrauensbildung zu Behörden zu fördern.

In der Judikative / Schulungen für Richter:innen und Staatsanwält:innen zu § 33 1/5 StGB, um die Anerkennung als Hate Crime sicherzustellen und die besonderen Bedürfnisse von Opfern zu berücksichtigen, dies sollte in die Lehrpläne der Ausbildung aufgenommen werden.

Für zivilgesellschaftliche Organisationen und Akteur:innen, Personen im Gesundheits-, Bildungs- und Jugendbereich:Trainings und Schulungen anbieten, aber auch spezielle Schulungen zu psychosozialen Bedürfnissen, z.B. Trauma-Schulungen.

Alle Akteur:innen sollen „traumasensibel“ arbeiten.

Auch für CSOs (Opferhilfe, aber zum Beispiel auch Bildungs- und Gesundheitssystem) sollte es entsprechende Trainings über Bedürfnisse von Hate Crime Betroffener sowie Unterstützungsmöglichkeiten geben.

  • Sensibilisieren für Hate Crime

um Verständnis für die weitreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen bei Betroffenen, Verbündeten und in der Öffentlichkeit zu schaffen oder zu verbessern.

Kampagnen zur Stärkung der Zivilcourage: Menschen sollen ermutigt werden, Stellung zu beziehen, Motive zu erkennen und praktische Schritte zu setzen, sich zu wehren, Vorfälle zu melden.

Die europaweite Realität von HateCrime sichtbar machen: für die Zielgruppen selbst, für Strafverfolgungsbehörden, Judikative, Psycholog:innen, Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen, Pädagog:innen.

Junge Menschen sollten früh gegenüber Vorurteilen und bestehenden Machtstrukturen sensibilisiert werden. Die Kenntnis über vorurteilsmotivierte Straftaten und deren gesellschaftliche Auswirkungen soll Teil der Lehrpläne werden.

1FRA: Crime Safety and Victims Rights – Fundamental Rights Survey, download: https://fra.europa.eu/en/news2021/violence-and harassment-across-europe-much-higher-official-records

2S: www.hatecrimekontern.at

3Diese produzierten Materialien sind online unter https:standup-projext.eu und auf der Instagram Seite standup/eu verfügbar.

07 / 2023

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