Tag der Kriminalitätsopfer 2024

Symposium / Am 22. Februar, dem europäischen Tag der Kriminalitätsopfer, steht einmal jährlich die Frage im Mittelpunkt, wie es Opfern von Straftaten psychisch, physisch und finanziell geht. Aus diesem Anlass luden WEISSER RING und Bundesministerium für Inneres auch heuer wieder gemeinsam zu einem Symposium ein. Die Veranstaltung fand bereits zum 14. Mal statt und befasste sich mit dem Thema „Prozessbegleitung – ein zentrales Angebot der Opferhilfe“ und steht online zur Verfügung. Neben dem inhaltlichen Fokus stand dieses Mal in den Reden ausnahmsweise mit Udo Jesionek auch eine Person im Mittelpunkt, die wie keine andere die Entwicklung und Durchsetzung der Opferrechte in Österreich mitgestaltet und geprägt hat.

Würdigung einer Legende

Udo Jesionek hatte im Jänner 2024 seine Funktion als Präsident des WEISSEN RINGS nach 33 Jahren zurückgelegt und war zum Ehrenpräsidenten gewählt worden. Unglaubliche 46 Jahre – nämlich seit dessen Gründung im Jahr 1978 – war er für den Verein aktiv und ist so selbst zur lebenden Legende geworden.

Justizministerin Alma Zadić, Sozialminister Johannes Rauch (Videobotschaft), Frauenministerin Susanne Raab sowie Innenminister Gerhard Karner bedankten sich bei Jesionek für seinen langjährigen, unermüdlichen Einsatz für die Opfer von Verbrechen in Österreich.

In ihrer Festrede blickte Lyane Sautner darauf zurück, wie sie – damals selbst noch Studentin – erstmals mit Udo Jesionek, der als Honorarprofessor an der Universität Linz lehrte, in Kontakt kam. Seine praxisnahe und lebendige Art des Vortrags sei bis heute vorbildlich. Sie würdigte ihn als hervorragenden Juristen, der neben seiner Tätigkeit als Richter auch auf zahlreiche Publikationen verweisen kann und ehrenamtliche Funktionen bekleidete. Das Publikum würdigte Udo Jesioneks Lebensleistung mit „standing ovations“.

Dankesworte an Udo Jesionek zum Nachhören

Erfolgsmodell Prozessbegleitung

Udo Jesionek verwies in seiner Eröffnungsrede auf die Vielfalt an Themen, die beim Tag der Kriminalitätsopfer bereits behandelt worden sind. Dann konzentrierte er sich auf den Entwicklungspfad der Prozessbegleitung seit den frühen 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und hielt fest: „Neben der Diversion erachte ich die Einrichtung der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung als die zwei wichtigsten prozessualen Änderungen, die ganz wesentlich auch zum Schutz der betroffenen Verbrechensopfer beigetragen haben.“

Lyane Sautner, Universitätsprofessorin an der JKU Linz und Mitglied Präsidium WEISSER RING, beleuchtete in ihrer Festrede die grundlegende Änderung der Rolle des Opfers im Strafverfahren.

„Die Prozessbegleitung ist ein Ausweis der Erfolgsgeschichte der Opferrechte in Österreich. Über Jahrhunderte waren die Opfer auf ihre Rolle als Zeugin oder Zeuge im Strafverfahren beschränkt“, erklärte Lyane Sautner. „Bedürfnisse und Interessen der Opfer existierten rechtlich nicht. Das Opfer war eine Randfigur im Strafverfahren.“

Eine Trendwende sei erst Ende der 1980er Jahre erfolgt: Mit schrittweisen Verbesserungen, bis 2006 die psychosoziale und juristische Prozessbegleitung flächendeckend eingeführt wurde.

Alma Zadić verlieh ihrer Freude über das diesjährige Thema Ausdruck: „Ein Strafverfahren zu durchlaufen, kostet viel Kraft und Mut. Dazu braucht es Expertinnen und Experten, die die Opfer durch diesen Prozess begleiten.“ Sie bedankte sich bei den Mitarbeiter:innen des WEISSEN RINGS und aller anderen Prozessbegleitungseinrichtungen. Sie seien das Fundament der Prozessbegleitung und ermöglichen jährlich fast 10.000 Betroffenen, ihre Rechte geltend machen zu können. „Vielen Dank für dieses Engagement“, unterstrich die Justizministerin. Sie kündigte an, sich nach der 2024 erreichten Erhöhung des Stundensatzes für juristische Prozessbegleitung auch für eine Erhöhung für psychosoziale Prozessbegleitung einzusetzen.

„Österreich verfügt über gut zugängliche, wirksame und zeitgemäße Instrumente zur Unterstützung von Opfern. Diese werden kontinuierlich evaluiert und verbessert, um eine respektvolle und einfühlsame Opferbetretung auch in Zukunft sicherzustellen“, versicherte Sozialminister Johannes Rauch in seiner Videobotschaft. Die Folgen eines Gewaltverbrechens könnten wohl nie zur Gänze gutgemacht werden. Der Staat könne jedoch versuchen, das entstandene Leid zu mildern.

Frauenministerin Susanne Raab verwies in ihrem Statement darauf, wie wichtig der Schulterschluss zwischen Frauen-, Innen-, Justiz- und Sozialministerium für einen funktionierenden Opferschutz sei. Als Beispiel führte sie die vor Kurzem gemeinsam mit Justizministerin und Innenminister präsentierten Gewaltambulanzen an, eine Einrichtung, die Opferhilfe-Einrichtungen schon seit langem gefordert hatten.

Auch Innenminister Gerhard Karner hob die Bedeutung der Gewaltschutzambulanzen für die Sicherung von Beweisen und deren Verwertung im Strafverfahren hervor. Besonders betonte er die Bedeutung der Vernetzung von Polizei und Justiz: „Damit es zu einem Strafprozess kommen kann, muss die Polizei Erstmaßnahmen setzen, dazu braucht es vor allem eine behördenübergreifende Vernetzung, beispielsweise sicherheitspolizeiliche Fallkonferenzen, die für eine enge Vernetzung von Polizei, Justiz und Opferschutz-Einrichtungen sorgen.“ 2023 seien 234 Fallkonferenzen durchgeführt worden, „beinahe eine Verzehnfachung seit der Einführung 2020 mit 25“.

Fachveranstaltung bietet Rundumblick

Als Einstieg in die Fachveranstaltung befasste sich Mario Thurner, Managementzentrum Opferhilfe (CLC), mit der Entwicklung der Prozessbegleitung vom Modellprojekt „Prozessbegleitung bei sexuellem Missbrauch an Mädchen, Buben und Jugendlichen“ (1998-2000) bis zur gesetzlichen Verankerung im Jahr 2006 und darüber hinaus.

„Die Prozessbegleitung in Österreich ist eine Success Story und europäisches Vorzeigemodell“, hielt Mario Thurner abschließend fest.

Mit der Prozessbegleitung im Rahmen des Verfahrens bei Gericht setzte sich Eva Brandstetter, Richterin am Landesgericht für Strafsachen Wien, auseinander. Die professionelle psychosoziale und juristische Begleitung von Opfern im Strafverfahren stelle aus ihrer Sicht auch eine Form der Entlastung für Richter:innen dar, da sie so sicher sein können, dass die Rechte der Opfer in jeder Situation gesehen und vor allem dass die Opfer nach der Verhandlung nicht mit dem Ergebnis allein gelassen werden.

„Die professionelle Vertretung bzw. Begleitung auch der vulnerabelsten Verfahrensbeteiligten, nämlich der Opfer, vereinfacht und strafft sowohl im Ermittlungs- als auch im Hauptverfahren den Prozessverlauf“, erklärte Eva Brandstetter.

Besonders schutzbedürftige Opfer und Prozessbegleitung aus Sicht der Exekutive standen im Zentrum des Vortrags von Petra Warisch, Kriminalprävention & Opferhilfe im Bundeskriminalamt.

Sie verwies in ihrem Vortrag auf die große Bandbreite der Aufgaben, die Exekutivbeamte im Zuge ihrer Tätigkeit erfüllen. Dazu gehört auch die Einstufung von Opfern als besonders schutzbedürftig, aus der sich in weiterer Folge besondere Rechte im Strafverfahren ableiten wie beispielsweise der Anspruch auf kontradiktorische Vernehmung. „Die Beurteilung und Feststellung der besonderen Schutzwürdigkeit steht an oberster Stelle. Hierzu gibt es mit dem Protokollierungssystem ein Tool, wo man das gleich feststellen muss“, unterstrich Warisch die Bedeutung dieses Schritts.

Sertan Batur von der Männerberatung Wien widmete sich in seinem Vortrag der Prozessbegleitung in Justizanstalten.

Er betonte: „Psychosoziale und juristische Prozessbegleitung ist ein Recht, das jedem Opfer von Gewalt zusteht, unabhängig davon, ob sich die Person inhaftiert befindet oder nicht.“ Die Erfüllung dieses Anspruchs mit höchster Verantwortung sei eine bedeutende Aufgabe für jede Institution, die Opferschutz als essenziell erachte.

Leider falle es gerade bei verurteilten Straftäter:innen dem Umfeld oft schwer, diese als Opfer zu sehen. In vielen Fällen müssen Opfer in Justizanstalten um die Anerkennung ihres Status als Opfer kämpfen. Sertan Batur zeigte zahlreiche weitere Erschwernisse für Opfer im Strafvollzug auf dem Weg zu den Opferrechten auf, wie das dort herrschende Männlichkeitsbild und die soziale Isolation der Inhaftierten in Verbindung mit geringen Möglichkeiten der Unterstützung von außen. Die abschließend präsentierten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache – es kommt kaum zu Verurteilungen, der Großteil der Verfahren wird eingestellt.

Tobias Körtner und Susanne Kammerhofer, die beide in der Opferhilfe sowie als Prozessbegleiter:innen beim WEISSEN RING tätig sind, warfen in ihrem Vortrag einen Blick auf die Herausforderungen und Erfolgsfaktoren der psychosozialen Prozessbegleitung.

Die Prozessbegleitung sei eine noch immer junge, sich entwickelnde Institution. In der kurzen Zeit ihres Bestehens habe es bereits einige Novellierungen und Ausweitungen im Sinne der Opfer gegeben. Mit Blick auf die Prozessbegleitungs-Regulierungsverordnung (PbRegVO), deren Weiterentwicklung bereits vor einiger Zeit in Angriff genommen wurde, hielten die beiden fest: „ Gleichzeitig bleibt noch Spielraum für Verbesserungen und wir sind gespannt auf die nächsten Entwicklungen.“

Als Hürden in der psychosozialen Prozessbegleitung listeten Tobias Körtner und Susanne Kammerhofer

  • die oft schwierigen zeitlichen Rahmenbedingungen
  • räumliche Gegebenheiten bei Gericht
  • schwer nachvollziehbare Einstellungen oder Urteile
  • Opfergruppen ohne Anspruch auf Prozessbegleitung
  • Betreuungsbedarf nach Strafverfahren, der häufig den vom Gesetz gesteckten Rahmen übersteigt.

Neben diesen fünf Hürden identifizierten Tobias Körtner und Susanne Kammerhofer auch fünf Erfolgsfaktoren:

  • Vorbereitung und Begleitung zu Gericht werden von Opfern als sehr hilfreich und entlastend empfunden
  • Überblick über Abläufe im Strafverfahren nimmt Ängste und Gefühl von Überforderung und „Ausgeliefertsein“
  • Opfer fühlen sich erleichtert und ernst genommen, wenn ihnen behördliche Entscheidungen erklärt werden
  • sehr gute Kooperation mit juristischer Prozessbegleitung
  • Kooperation und Wertschätzung zwischen Prozessbegleiter:innen und Richter:innen hat sich stark verbessert

Rechtsanwalt Lucas Lorenz, Mitglied Präsidium WEISSER RING, nahm das Publikum mit in die Welt eines juristischen Prozessbegleiters und vermittelte anhand von Praxisbeispielen die Freuden und Leiden, die mit dieser Tätigkeit verbunden sind. Körperlich und seelisch schwer verletzte Opfer, Täter:innen die nie gefunden werden, Medien die das Opfer zur Schau stellen – all das und mehr kam zur Sprache.

Am anderen Ende der Skala stehen Menschen, die durch psychosoziale und juristische Prozessbegleitung spürbare Hilfe erlebt hatten. „Wir sind unglaublich froh, dass es so eine Einrichtung gibt, die Menschen in schwierigen Situationen nach Straftaten unterstützt“, zitierte Lucas Lorenz aus dem Schreiben einer Familie. „Vielen, vielen Dank für alles!“

Den Abschluss der Fachveranstaltung bildete ein Gespräch, das Moderatorin Natascha Smertnig, Geschäftsführerin WEISSER RING, mit Franz Riegler, Leiter der Kompetenzstelle Förderungswesen und Rechtsfürsorge im Justizministerium, führte. Franz Riegler verwies unter anderem darauf, wie wichtig es ist, über das Angebot der Prozessbegleitung zu informieren. Die Zahl der Prozessbegleitungen wachse zwar stetig, aber es gäbe eindeutig noch Luft nach oben. Eine Kampagne im Jahr 2022 hatte zu einem wesentlich höheren Anstieg – nämlich um 9 % im Vergleich zu jeweils 4,5 % in den Jahren davor – geführt. Aktuell gibt es 47 Prozessbegleitungs-Einrichtungen, die einen Fördervertrag mit dem Justizministerium haben. Franz Riegler betonte, dass für das Justizministerium im Vordergrund stehe, dass die Leistung flächendeckend in ganz Österreich verfügbar ist.

Wenn Sie mehr wissen wollen

Fotos

Fotorechte: BMI/Gerd PACHAUER, BMI/Karl Schober

Titelfoto BMI/Gerd PACHAUER: Lucas Lorenz, Natascha Smertnig, Petra Warisch, Eva Brandstetter, Franz Riegler, Susanne Kammerhofer, Mario Thurner, Tobias Körtner, Sertan Batur

02 / 2024

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