Wenn „Wegschauen“ keine Lösung ist

„Zivilcourage – Chancen und Risiken“ war das Thema des diesjährigen „Tages der Kriminalitätsopfer“, der am 22. Februar 2018 vom Innenministerium und der Verbrechensopferhilfeorganisation WEISSER RING veranstaltet wurde.

Das Innenministerium und die Verbrechensopferhilfeorganisation WEISSER RING veranstalteten am 22. Februar 2018 zum achten Mal den Tag der Kriminalitätsopfer. Im Fokus standen Zivilcourage und die damit verbundenen Chancen und Risiken. „Gewalt hat viele Gesichter, deshalb ist es notwendig,  hinzusehen statt wegzusehen. Die Polizei arbeitet stark mit der Bevölkerung zusammen, diese Zusammenarbeit stärkt uns als Gesellschaft. Nur so kann gewährleistet werden, dass wir weiterhin in einem sicheren Land leben können“, sagte Innenminister Herbert Kickl.  Staatssekretärin Mag. Karoline Edtstadler fügte hinzu: “ Die Opfer von Gewalttaten leiden oft ein Leben lang unter dem Erlebten, mir ist es persönlich ein Anliegen, dass die Strafen und die begangene Tat besser im Verhältnis zueinander stehen.“

„Durch richtig eingesetzte Zivilcourage wäre viel Leid von Verbrechensopfern zu vermeiden“, sagte Dr. Michael Lepuschitz, Vizepräsident WEISSEN RINGES. „Ich halte es für unabdingbar notwendig, die Bereitschaft zum couragierten Eintreten gegen Hass, Gewalt und Verbrechen in unserer Gesellschaft bestmöglich zu stärken.“

„Das Thema Zivilcourage spielt auch in den Verfahren des Sozialressorts nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) immer wieder eine Rolle“, sagte Dr. Kurt Wegscheidler, Leiter der Abteilung IV/B/5 (Sozialentschädigung) im Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz. „Wie für andere Verbrechensopfer ist es auch hier für die Betroffenen ganz entscheidend zu erkennen, dass sie mit den Folgen ihrer Hilfe nicht allein gelassen werden und eine staatliche Anerkennung und damit auch eine Anerkennung ihrer Zivilcourage erhalten.“

„Ohne Zivilcourage wäre ein kultiviertes Zusammenleben nicht möglich. Wichtig ist, dass betroffene Frauen erkennen, dass sie nicht alleine sind und ermutigt  werden, dagegenzuhalten“, sagte Sektionschefin Bernadett Humer, MSc, Leiterin der Sektion V (Familien und Jugend) im Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend. „Eine Aufgabe der Jugendpolitik ist es, Jugendliche im Bereich der gesellschaftlichen Teilhabe, auch in Zusammenhang mit Zivilcourage, zu unterstützen. Es ist uns wichtig, dass junge Menschen bei dieser schwierigen Frage bestmöglich beraten werden.“

„Opferschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wie sich an den Diskussionen zu Hate Speech zeigt, ist Zivilcourage erforderlich, um gegen diese leider viel zu häufigen Vorfälle entsprechend zu reagieren, den Tätern zu verdeutlichen, dass dieses Verhalten inakzeptabel ist und den Opfern beizustehen“, sagte Mag. Christian Pilnacek, Generalsekretär und Leiter der Sektion IV (Strafrecht) im Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz. „Der Erfolg dieses couragierten Vorgehens der Bürgerinnen und Bürger zeigt sich in einem Anstieg von Anzeigen, der seinen Niederschlag in einer ebenso gestiegenen Anzahl an Anklagen und Verurteilungen wegen Verhetzung findet.“

„Die Initiative GEMEINSAM.SICHER in Österreich fördert den Dialog zwischen den Menschen, den Gemeinden und der Polizei. Durch eine Kommunikation auf Augenhöhe aller Beteiligten soll gemeinsam eine Gesellschaft des Hinsehens, aber auch Handelns erreicht werden, dass sowohl die objektive Sicherheitslage als auch das Sicherheitsvertrauen der Menschen erhöht wird“, sagte Mag. Manfred Zirnsack, Leiter der Abteilung II/1 (Organisation, Dienstbetrieb und Analyse) im Bundesministerium für Inneres.

„In welcher Gesellschaft leben wir, die einerseits immer wieder couragierte Individuen hervorbringt, die sich selbstlos für Schwächere einsetzen, und andererseits in manchen Bereichen zu einem Kampfplatz der Einzelinteressen zu werden scheint“, fragte Prof. Dr. Frank Welz von der Fakultät für Soziale und politische Wissenschaften des Instituts für Soziologie der Universität Innsbruck. „Was kann man tun? Öffentlich radikal für die Würde des Menschen eintreten, für Opfer, ganz ungeachtet ihrer ‚Nützlichkeit´, Herkunft, Alter, Geschlecht, ist nur eine, wiewohl wichtige Maßnahme. Auch sie verlangt Zivilcourage.“

„Zivilcourage dient erstens der Verhinderung von Straftaten“, sagte Dr. Michael Lepuschitz, Stadthauptmann in Wien-Favoriten. „In Gewaltsituationen können zufällig anwesende Menschen durch einen Anruf bei der Polizei eine Tat verhindern.“ Zweitens würden zivilcouragierte Zeuginnen und Zeugen oft durch genaues Beobachten den entscheidenden Hinweis für die Dingfest-Machung und Verurteilung der Täter bringen, ergänzte Lepuschitz. „Und drittens schützt Zivilcourage, richtig verstanden, die Opfer vor Bloßstellung und weiterer Viktimisierung, etwa indem Fotos und Videos der Tat auf sozialen Medien Hunderten oder Tausenden Menschen zugänglich gemacht werden.“

Zivilcourage Schritt für Schritt – Empfehlungen zum richtigen Verhalten

„Wenn jetzt mehr und mehr Betroffene ihr Schweigen über das erlittene Unrecht brechen, verstoßen sie gegen eine wesentliche Grundlage von totalen Systemen“, sagte Nicola Werdenigg-Spieß, Initiatorin von #WeTogether. „Betroffene, die nicht im Sportumfeld angesiedelt sind und schon die Hoffnung auf Recht aufgegeben hatten, fassen wieder Mut, sich noch einmal hinauszuwagen. Gegen das Vertuschungssystem aufzubegehren und sich Gehör zu verschaffen. Unsere Initiative #WeTogether ist so entstanden und am Weg, eine internationale Bewegung zu werden.“

„Zivilcourage ist nicht nur in der analogen Welt gefragt, sondern auch in der digitalen Parallelwelt des Internets. Schätzungen zufolge erlebte jede dritte Frau im letzten Jahr Gewalt im Netz in der einen oder anderen Form“, sagt Dr.in Dina Nachbaur, Geschäftsführerin WEISSER RING. „Betroffene brauchen nicht nur die Gewissheit, dass Instrumente des Rechtsstaates auch online funktionieren, sondern auch die Solidarität von anderen Nutzerinnen und Nutzern. Zivilcourage im Netz zu zeigen bedeutet, mit Gegenrede gegen Hass im Netz anzuschreiben und auch andere Verletzungen von Personen oder von Rechtsnormen nicht hinzunehmen, sondern bewusst und mutig dagegen aufzutreten.“

„Das Internet wird oft als rechtsfreier Raum erlebt. Potenzielle Täterinnen und Täter fühlen sich dort unbeobachtet und frei von Zwängen der Rechtsordnung und der sozialen Kontrolle. Bei Betroffenen von „Hate Speech“ oder von anderen Gewaltformen im Netz führt dies oft zu grenzenlosen Gefühlen der Ohnmacht“, ergänzte Anna Müller-Funk, MSc, vom Forschungszentrum Menschenrechte der Universität Wien.

Forderungskatalog des WEISSEN RINGES

Anlässlich des Tages der Kriminalitätsopfer 2018 zum Thema „Zivilcourage – Chancen und Risken“ formuliert der WEISSE RING folgende Forderungen:

  • Verbrechensopfergesetz (VOG): Wer Zivilcourage zeigt und dabei selbst zum Opfer wird, soll Anspruch auf Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz haben. In den Ausschlussbestimmungen des § 8 VOG soll ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass Hilfeleistungen nach dem VOG jedenfalls zustehen, wenn Betroffene sich in Gefahr begeben haben und verletzt werden in der Bemühung, Opfer einer Straftat zu schützen oder verdächtige Personen den Strafverfolgungsbehörden zu übergeben.
  • Datenschutz: Wer Zivilcourage zeigt und Betroffene mit einer Anzeige bei der Polizei unterstützt, soll Anspruch auf verbesserten Schutz der persönlichen Daten haben.
  • Sensibilisierung der allgemeinen Öffentlichkeit für die Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen. Denn Zivilcourage zu zeigen heißt nicht unbedingt, selbst einzugreifen. Das Holen von Hilfe oder das Verständigen der Polizei sind bereits Akte der Zivilcourage.
  • Schaffen eines Bewusstseins dafür, dass jeder einzelne gegen Hass im Netz vorgehen kann – sei es mittels Meldung beim Provider der jeweiligen Plattform, oder mittels eigenen Flowerrain-Postings.

Forderungskatalog zum Thema Zivilcourage

Tag der Kriminalitätsopfer

In zahlreichen europäischen Ländern wird der 22. Februar als „Tag der Kriminalitätsopfer“ begangen. Es soll auf die persönliche, wirtschaftliche und rechtliche Situation der durch strafbare Handlungen geschädigten Menschen aufmerksam gemacht werden. Am 22. Februar 2011 wurde in Österreich erstmals der „Tag der Kriminalitätsopfer“ veranstaltet. Die damalige Innenministerin Maria Fekter nahm die Anregung des WEISSEN RINGS auf, diesen Tag künftig gemeinsam mit dem Innenministerium zu veranstalten. Diese Veranstaltungen sollen das öffentliche Bewusstsein für die Situation von Kriminalitätsopfern stärken und Opfer dazu motivieren, Hilfe von einschlägigen Einrichtungen in Anspruch zu nehmen.

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