
Mit Caroline Kerschbaumer hat der WEISSE RING eine Expertin im Team, die sich bereits viele Jahre mit dem Thema Hassverbrechen beschäftigt.
Im Interview erzählt sie, was charakteristisch für diese Taten ist, warum Opfer den Weg zur Unterstützung so häufig nicht finden und was der WEISSE RING für Betroffene von Hassverbrechen tun kann.
Was ist das Charakteristische an Hassverbrechen?
Das Gemeinsame ist das Vorurteilsmotiv. Hate Crimes sind gerichtlich strafbare Handlungen, die aufgrund einer (zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe vorsätzlich begangen werden. Das Innenministerium erfasst seit 2020 Hate Crimes statistisch nach folgenden 9 Vorurteilsmotiven: „Alter“, „Behinderung“, „Geschlecht“, „Hautfarbe“, „Nationale/Ethnische Herkunft“, „Religion“, „Sexuelle Orientierung“, „Sozialer Status“ und „Weltanschauung“.
Was macht das mit einem Menschen, Opfer von einem Hassverbrechen zu werden?
Opfer eines Verbrechens zu werden ist an sich schon eine prägende und potentiell traumatisierende Erfahrung. Wenn noch ein Vorurteilsmotiv dazukommt, bringt das auf unterschiedlichen Ebenen Verschärfungen mit. Eine besondere Belastung ergibt sich daraus, dass Diskriminierungen – wenn auch nicht immer strafrechtlich relevant – meist wiederholt vorkommen. Betroffene sind in kaum einem Lebensbereich wirklich davor geschützt. Bei einem Hassverbrechen erfahren sie z.B. körperliche Gewalt und Diskriminierung auf einmal. Das stellt eine zusätzliche psychische Belastung dar.
Die Reaktionen auf diese Situation können sehr unterschiedlich sein. Oft verlieren Menschen das Gefühl der Sicherheit und entwickeln Misstrauen gegenüber staatlichen Behörden, weil sich die Diskriminierung auch dort fortsetzen kann. Wir sehen die gesamte Palette an psychischen Reaktionen auf Gewalt: es kann zu Problemen in der Arbeit oder in der Schule kommen, zu Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen.
Manche Personen ziehen sich auch zurück, nehmen nicht mehr am öffentlichen Geschehen teil. Hier passiert Silencing, die betroffenen Gruppen sind im öffentlichen Diskurs nicht mehr sicht- bzw. hörbar. Damit haben dann die Täter:innen genau das erreicht, was sie erreichen wollten und das ist ein großes Problem in einer Demokratie, wenn bestimmte Stimmen einfach verstummen.
Es ist immer wieder zu hören, dass sich die Opfer von Hassverbrechen nicht melden. Warum ist das so?
Das hängt sehr stark damit zusammen, dass diese Personen zumeist wiederholt diskriminiert wurden, eventuell auch bei Behörden oder sogar bei Gericht. Der WEISSE RING hat z.B. eine Familie zu Gericht begleitet, die der Anwalt des Täters dort wiederholt auf herablassende Weise auf ihre mangelnden Deutschkenntnisse hingewiesen hat. Motiv für das Gewaltverbrechen war in diesem Fall die Nationalität bzw. ethnische Herkunft. Die diskriminierende Erfahrung wiederholt sich und die Betroffenen verlieren das Vertrauen, dass man sie hört und ernst nimmt. Auch mangelndes Wissen über die rechtliche Situation, über Einrichtungen der Opferhilfe oder auch Scham und Unsicherheit können eine Rolle spielen, dass Betroffene Vorfälle nicht melden.
Warum sollten sich Opfer von Hasskriminalität beim WEISSEN RING melden?
Es wäre wichtig, dass sich sehr viel mehr Betroffene von Hasskriminalität bei uns melden. Denn wir unterstützen sie kostenlos dabei, zu ihrem Recht zu kommen. Entlastungsgespräche beispielsweise können auch anonym in Anspruch genommen werden.
Wenn jemand aufgrund von bestimmten tatsächlichen oder zugeschriebenen Merkmalen zum Verbrechensopfer wird, ist das ein Angriff auf die Persönlichkeit. Es stellt die Existenz einer Person in Frage. In dieser Situation brauchen Betroffene umso mehr jemand, der an und auf ihrer Seite steht und z.B. zur Anzeige oder auch zum Prozess begleiten kann.