Das Urteil des Obersten Gerichtshofes 6Ob210/23k vom April 2024 stellt einen wichtigen Meilenstein im Kampf gegen Hass im Netz dar. Der OGH beschäftigt sich darin mit der Frage, wie sich Betroffene gegen einen Shitstorm wehren können. Neu und wegweisend in dieser Entscheidung ist die Feststellung, dass es nicht Aufgabe von Betroffenen sein kann, möglichst viele Täter:innen auszuforschen um von jedem:jeder einen Teil-Schadenersatz einzuklagen. Vielmehr können Betroffene von jedem:jeder am Shitstorm beteiligten Täter:in den vollen Schadenersatz verlangen. Jede:r Beteiligte am Shitstorm haftet also nicht nur für das jeweils eigene Teilen des Postings, sondern trägt die volle Verantwortung für den gesamten Shitstorm.
Darum geht es im Detail
Im konkreten Fall ging es um ein Foto eines Polizeibeamten, welches bei einer Corona-Demo gemacht wurde. Dieses wurde auf Facebook mit den Worten „Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in I:. Ein 82 jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet, und Stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig.“ gepostet und in der Folge von mehreren hundert User:innen geteilt.
Der fotografierte Polizist war allerdings in diese Amtshandlung gar nicht involviert, er wurde also zu Unrecht öffentlich des Amtsmissbrauch beschuldigt. Strafrechtlich ist dies als üble Nachrede gemäß § 111 StGB zu qualifizieren. Für den betroffenen Polizisten hat der Shitstorm zu sehr belastenden Situationen geführt, da er sowohl in der Arbeit aber auch privat immer wieder darauf angesprochen wurde und sich rechtfertigen musste.
Der Polizist machte daraufhin mehrere Personen ausfindig, die sich am Shitstorm beteiligt hatten und klagte. Der Argumentation des Beklagten, dass er ja nicht der ursprüngliche und damit ursächliche Täter des Shitstorms sei, sondern lediglich ein unwesentlicher Beteiligter, folgte der OGH nicht. Der OGH folgerte aus dieser Argumentation, dass dies bedeuten würde, dass je mehr Personen sich an einem Shitstorm beteiligen, desto geringer wäre die Haftung des Einzelnen. Gleichzeitig – so der OGH – wird die Belastung eines Shitstorms für Betroffene umso schlimmer, je mehr Personen sich daran beteiligen. Richtig sei zwar, dass die Unaufklärbarkeit bei mehr Täter:innen wohl höher würde, aber dass diese Tatsache nicht zur Entlastung dieser führen könne.
Eine Entscheidung im Sinne der Betroffenen
Konkret hat also der OGH im Sinne des Schutzes von Betroffenen von Hass im Netz entschieden, dass alle Beteiligten eines Shitstorms für den gesamten Schaden haften: „Es ist vom Geschädigten nicht mehr abzuverlangen, als dass er behauptet und belegt, Opfer eines Shitstorm (an dem sich der konkret belangte Schädiger rechtswidrig und schuldhaft beteiligt hat) zu sein (oder gewesen zu sein). Aufgrund der Unaufklärbarkeit der Schadensanteile des einzelnen Posters kann er im Regelfall berechtigt den (unteilbaren) Gesamtschaden von einem Schädiger fordern.“…. „Wer sich an einem Shitstorm beteiligt, muss damit rechnen, dass er den Gesamtschaden gegenüber dem Opfer (vorweg) leisten und sich in der Folge der Mühe der Aufteilung des Ersatzes unter den anderen Schädigern unterziehen muss.„
Beteiligung am Shitstorm wird teuer!
Dieses Urteil ist ein wichtiges Signal im Kampf gegen Hass im Netz im Sinne der Hilfe für Betroffene. Die Beteiligung am Shitstorm kann für Täter:innen teuer werden. Es ist wichtig, dass sich Täter:innen bewusst werden, dass sie für die auf ihren Accounts geposteten oder geteilten Inhalte rechtliche Verantwortung tragen. Zudem ist immer zu empfehlen, alle Inhalte vor dem Posten oder Teilen ausnahmslos auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.