Dr.in Maria-Luise Nittel ist seit Anfang 2025 Landesleiterin des WEISSEN RINGS in Wien.
Sie begann ihre Karriere als Bezirksanwältin und Richterin am Bezirksgericht. 2009 übernahm sie als erste Frau in der Geschichte der Behörde die Leitung der Staatsanwaltschaft Wien.
Seit 2023 ist sie im Ruhestand.

Wir haben ein Gespräch mit Maria-Luise Nittel zu ihrer Freiwilligentätigkeit beim WEISSEN RING geführt.
Was sind Ihre Beweggründe dafür, ehrenamtlich beim WEISSEN RING tätig zu werden?
Der ehemalige Landesleiter für Wien (Anm.: Gerhard Jelinek) hat mein Interesse für eine Freiwilligentätigkeit für den WEISSEN RING geweckt. Ich bin seit 1. Mai 2023 im Ruhestand und wollte gerne eine mir sinnvoll scheinende Aufgabe übernehmen, die auch an meine berufliche Tätigkeit fachlich anschließt. Ich war über 40 Jahre lang im Justizressort als Strafrichterin, Staatsanwältin, Oberstaatsanwältin und Leiterin der Staatsanwaltschaft Wien beschäftigt. Deshalb bin ich mit Opferrechten berufsbedingt vertraut.
Wie sehen Sie den WEISSEN RING und die Arbeit der Opferhilfe? Wie haben Sie die Organisation im Lauf der Zeit erlebt?
Während der Zeit meiner Berufstätigkeit habe ich natürlich vom WEISSEN RING gehört, aber nicht unmittelbar mit der Organisation zu tun gehabt. Ich habe den WEISSEN RING als Organisation gekannt, die sich für Opferrechte einsetzt und auch Opferrechte durchsetzt. Die Prozessbegleitung war z.B. vor gar nicht so langer Zeit noch in ihren Anfängen und ist jetzt etabliert.
Der WEISSE RING ist offen parteiisch und steht bewusst auf der Seite der Opfer. Wie sehen Sie das?
Ich sehe hier keine Seiten. In einem Rechtsstaat werden jeder Prozesspartei im Strafrecht von der Strafprozessordnung Rechte eingeräumt. Diese gilt es wahrzunehmen. Opfer, die Hilfe vom Staat und/oder von Organisationen wie dem WEISSEN RING in Anspruch nehmen wollen, gilt es zu unterstützen. Das ist ihr gutes Recht. Ein Eintreten für die Rechte der Opfer richtet sich aber nicht automatisch gegen Täter:innen. Opferrechte und Rechte von Beschuldigten oder Angeklagten schließen einander nicht aus, sondern bestehen nebeneinander. Opferrechte schmälern die Rechte von Täter:innen nicht, in manchen Bereichen wie z.B. beim Opfer-Täter:innen-Dialog oder bei der Diversion treffen sich auch die Interessen von beiden.
Gibt es eine Beobachtung zum Thema Opferrechte, die Sie im Lauf Ihrer Karriere gemacht haben und die Sie teilen möchten?
Ich habe eine sehr positive Entwicklung der Opferrechte beobachtet, von sehr gering ausgeprägten Rechten bis hin zur Diversion und Prozessbegleitung. Ich sehe die Diversion auch als sehr gute Entwicklung und zwar sowohl für Täter:innen als auch für Opfer.
Gibt es beim Thema Opferrechte eine Situation oder einen Bereich, in dem Sie Handlungsbedarf sehen? Wo sehen Sie Entwicklungsmöglichkeiten?
Den Modellversuch Opfer-Täter:innen-Dialog halte ich z.B. für ein sehr gutes, sinnvolles Projekt, das beiden Seiten – Opfern und Täter:innen – dabei helfen kann, das Tatgeschehen zu verstehen und zu verarbeiten. Ich schließe mich auch dem langjährigen Einsatz des WEISSEN RINGS für gleichen Zugang zum Recht für alle Opfer an. Alles, was von reiner Strafe wegführt, ist ein guter Ansatz.
05/2025